Neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zum Erlöschen von Mindesturlaubsansprüchen
Jeder Arbeitnehmer hat aufgrund eines bestehenden Arbeitsverhältnisses zwingend einen Mindesturlaubsanspruch in Höhe von 24 Werktagen pro Kalenderjahr und zwar unabhängig davon, ob dieser Anspruch vertraglich geregelt ist oder nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ob es sich um ein Vollzeit- oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis handelt.
Den Mindesturlaubsanspruch haben auch sogenannte geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer, deren Vergütung mit bis zu 450,00 € monatlich pauschal versteuert wird.
Gesetzlich geregelt ist dieser Anspruch im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). § 7 Abs. 3 BUrlG sieht vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Bei dringenden oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen kann er auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres übertragen werden.
Hieraus hat die Rechtsprechung bisher die Schlussfolgerung gezogen, dass nicht genommener Urlaub entweder zum Ende des Kalenderjahres oder aber zum Ende des sogenannten Übertragungszeitraumes, d. h. zum 31. März des Folgejahres verfällt. Eine Ausnahme hiervon bilden Urlaubsansprüche während langanhaltender Krankheit: Bei diesen Ansprüchen tritt das Erlöschen des Urlaubsanspruches erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, ein.
Seine Rechtsprechung, wonach der Urlaubsanspruch, der nicht im laufenden Kalenderjahr oder aber im Übertragungszeitraum genommen worden ist, automatisch erlischt, hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr in einem Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – einschränkend korrigiert:
- Danach erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
- Das Erlöschen des Urlaubsanspruches setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruches genügt, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraumes verfällt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht beantragt.
Für die Praxis hat diese Rechtsprechungsänderung folgende Konsequenz:
- Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers kann nur dann erlöschen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Gelegenheit erhalten hat, diesen Urlaubsanspruch im laufenden Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum zu nehmen.
- Zusätzlich setzt das Erlöschen voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausdrücklich darauf hingewiesen haben muss, dass der Urlaubsanspruch bei Nichtinanspruchnahme verfällt.
Die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt rückwirkend, was zur Folge hat, dass Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis auch noch für lange zurückliegende Zeiträume geltend gemacht werden können, wobei wiederum zu berücksichtigen ist, dass das Bundesarbeitsgericht in einer früheren Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass Urlaubsansprüche nicht der Verjährung unterliegen (BAG, Urteil vom 05.12.1995 – 9 AZR 666/1994 = BAGE 81, Seite 328).
Aus unserer arbeitsrechtlichen Praxis ist uns bekannt, dass gerade in Beschäftigungsverhältnissen auf geringfügiger Basis (sog. Minijobs) kein Urlaub gewährt wird, weil Arbeitgeber unzutreffender Weise davon ausgehen, dass sogenannte Minijobber keinen Urlaubsanspruch haben. Gerade in solchen Beschäftigungsverhältnissen sind die Voraussetzungen, unter denen das Bundesarbeitsgericht einen Urlaubsanspruch auch für länger zurückliegende Zeiträume bejaht, immer gegeben.
Generell sollten Sie, wenn Ihnen in der Vergangenheit Urlaub nicht gewährt wurde bzw. wenn Sie keine Gelegenheit hatten, Ihren vollen Jahresurlaub in Anspruch zu nehmen, prüfen lassen, ob Sie diese Ansprüche noch rückwirkend geltend machen können.
Ihr Ansprechpartner in unserer Kanzlei ist Rechtsanwalt Günter Stremmel, Fachanwalt für Arbeitsrecht.